„Wofür wir Töchter unsere Mütter brauchen“
- Redaktion
- 20. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Aug.
Sarah Trentzsch über weibliche Freiheit und die wichtigste Beziehung im Leben vieler Frauen.

„Dass Mütter ihren Töchtern nach wie vor die Freiheit vorenthalten, die (nur) sie ihnen gewähren könnten, spiegelt sich nicht unbedingt in den gesellschaftspolitischen Programmen zur Gleichstellung von Frauen.“ – Sarah Trentzsch
Wie sehr prägt uns das Verhältnis zur eigenen Mutter, auch wenn wir längst erwachsen sind? Was macht diese Beziehung so konfliktbeladen, oft unausgesprochen, manchmal schmerzhaft? Und warum ist eine gute Mutter-Tochter-Beziehung eine Grundvoraussetzung für weibliche Selbstbestimmung?
In ihrem klugen, analytischen und zugleich einfühlsamen Buch „Wofür wir Töchter unsere Mütter brauchen“ zeigt die Sozialpsychologin Sarah Trentzsch, wie tief die Mutter-Tochter-Dynamik in unser Selbstbild eingreift – und warum echte Nähe, Abgrenzung und Freiheit kein Widerspruch sein müssen. Sie beschreibt, warum viele Frauen sich aus der emotionalen Leerstelle lösen müssen, um zu sich selbst zu finden und ohne zwangsläufig den Kontakt zur Mutter zu verlieren.
Ein Drahtseilakt – zwischen Nähe, Wut und Selbstbestimmung
„Die Mutter-Tochter-Beziehung ist ein Drahtseilakt“, schreibt Trentzsch. Sie fordert von der Mutter Verständnis und Empathie auf der einen, und Souveränität und eigene Grenzen auf der anderen Seite. Inmitten gesellschaftlicher Erwartungen, struktureller Überforderung und individueller Wünsche stellt sich die Frage: Wie gestalten wir eine Beziehung, die Halt gibt – ohne zu fesseln?
Viele Frauen empfinden die Verbindung zu ihrer Mutter als ambivalent. Sie erleben sie als distanziert oder einengend, als Quelle von Wut oder Enttäuschung – und doch suchen sie genau dort nach Vorbild, Orientierung und Sicherheit. Trentzsch macht deutlich: Wir brauchen Beziehungen, die uns halten, ohne Bedingungen zu stellen. Und: Eine gute Beziehung zur Mutter kann ein Ausgangspunkt für Freiheit sein.
„Wofür wir Töchter unsere Mütter brauchen“ ist ein aufrüttelndes Buch, das emotionale Erfahrungen mit sozialpsychologischer Reflexion verknüpft. Sarah Trentzsch beschreibt empathisch und praxiserfahren, was Frauen brauchen, um sich aus überforderten Rollenerwartungen zu lösen, wie sie sich von emotionaler Abhängigkeit emanzipieren und neue, stärkende Beziehungen gestalten können. Für sich selbst. Und für die nächste Generation.
Wir haben mit Sarah Trentzsch gesprochen und ihr drei Fragen zur Mutter-Tochter-Beziehung und den zentralen Gedanken ihres Buches gestellt.
Frau Trentzsch, worum geht es im Kern in Ihrem Buch „Wofür wir Töchter unsere Mütter brauchen“ – und warum ist diese Beziehung gerade heute so bedeutsam?
Ich versuche zu zeigen, dass Belastungen unter denen Frauen strukturell leiden, leider oft an andere Frauen weitergereicht werden. Zum Beispiel die, sich immer erst für andere verantwortlich zu fühlen, bevor sie ihre eigenen Belange regeln. Mein Anliegen ist, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Also nicht immer so viel von anderen Frauen zu erwarten, Streiten dürfen, ohne den Humor zu verlieren, nicht immer nur Fürsorge und Nähe einzufordern, sondern auch Eigenwilligkeit zu feiern und sich gegenseitig zu inspirieren. Die Basis dafür liegt in der Mutter-Tochter Beziehung. Frauen brauchen die Erfahrung, sich gegen die Bedürfnisse der Liebsten abzugrenzen, ohne den Verlust der guten Beziehung zu fürchten. Das brauchen wir als Menschen immer, aber gerade heute vielleicht besonders, um nicht den eigenen Kompass zu verlieren.
Viele Frauen haben keine enge oder harmonische Verbindung zu ihrer Mutter – oder sie haben sie verloren. Was raten Sie, um mit dieser Leerstelle umzugehen?
Einerseits können sie sich mit den Verlusten und unerfüllten Wüschen auseinandersetzen, um sich daraus zu lösen. Auch Frust und Wut sind eine starke Bindung. Wenn es gelingt, sich von der frühen Mutter zu emanzipieren, kann vielleicht ein neuer Kontakt möglich sein, ohne zu hohe Erwartungen, was die andere dafür erfüllen muss. Harmonie kann nicht das einzige Ziel von Beziehungen sein. Zugleich kann man natürlich alle möglichen anderen Menschen finden, die diese Leerstelle punktuell erfüllen, also Aspekte von etwas ‚Mütterlichem‘ beinhalten, das ich vielleicht vermisse. Aber ich sage bewusst punktuell, denn niemand kann alle Sehnsüchte und Wünsche aufwiegen. Das ist eine Überforderung für jedes Gegenüber.
Warum ist es für Töchter so wichtig, sich von der Mutter abzugrenzen – ohne dabei die Beziehung zu verlieren?
Nicht aus Prinzip, aber dann, wenn sie was sucht und braucht, das den Wünschen der Mutter entgegensteht. Wenn Differenz und unterschiedliches Wollen schon immer als Aspekte der Beziehung da sein duften, ist Abgrenzung, auch in kleinen Dingen wie beispielsweise einer Absage zu einer Einladung, kein großes Ding. Also nicht so belastend, wird nicht vor allem vermieden, um den Konflikt zu vermeiden, löst keine Schuldgefühle aus usw. – sondern darf da sein. Die Beziehung fühlt sich dadurch frei an und wird gerne gelebt und bleibt lebendig.

Interview: Eva-Maria Rueter
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