„Ava liebt noch“ von Vera Zischke: Roman über Liebe, Freiheit & Selbstfindung
- Redaktion
- 26. Aug.
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Aktualisiert: 27. Aug.

„Ava liebt noch" von Vera Zischke ist ein Roman über Sehnsucht, Selbstfindung und die oft schmerzhaften Entscheidungen zwischen Sicherheit und Freiheit. Zwischen den Zeilen erzählt er von Ehe und Affäre, von alten Rollenbildern und neuen Aufbrüchen und stellt die Frage, wie viel Mut es braucht, wirklich zu leben. Mit der Autorin sprechen wir über Avas Ehemann Ralf, Avas lange Suche nach sich selbst und die Botschaften, die zwischen den Kapiteln verborgen liegen.
In Ava liebt noch bleibt Ralf für viele Leserinnen ambivalent. War er für Sie Gegenspieler, tragische Figur oder Spiegel von Avas Entwicklung?
Ralf ist ein Mann, der in der klassischen Rollenverteilung zufrieden ist. Einer, der seiner Frau „hilft“, wenn er mal die Kinder ins Bett bringt, und nichts dabei findet, dass er die Lehrer seiner Kinder nicht beim Namen kennt. Als Ava diese Rollenverteilung hinterfragt, versteht er das Problem nicht. Aus seiner Sicht läuft alles bestens. Ich sage immer: Ralf ist das Patriarchat auf zwei Beinen. Auf Lesungen höre ich oft: In jedem Mann steckt ein bisschen Ralf.
Sein Auftritt bei der Hochzeit – „Ich habe alles für die Familie gemacht“ – ist stark inszeniert: Er beschreibt, wie Männer das Geld nach Hause bringen, die Existenz sichern und am Ende als „Ausbeuter“ und „Dinosaurier“ gelten. Wollten Sie hier bewusst ein männliches Selbstverständnis zeigen, das mit modernen Partnerschaftsideen kollidiert? Und wie viel Wahrheit steckt für Sie in dieser Sichtweise?
Warum nehmen die meisten Väter nur ein paar Wochen Elternzeit und dreimal seltener Kinderkrankentage? Warum sagen 68 Prozent der Männer, dass Hausarbeit bei ihnen gerecht verteilt ist, aber nur 44 Prozent der Frauen? Wir sind noch weit von einer Geschlechtergerechtigkeit entfernt, kommen aber nicht weiter, wenn Frauen die Debatte darüber nur unter sich führen. Mein Buch wird fast nur von Frauen gelesen, dabei habe ich es auch für alle Männer geschrieben, die schon mal zu einer unzufriedenen Frau gesagt haben: „Hast du dir doch ausgesucht.“
„‚Mental Load‘ war für mich der Grund, diesen Roman zu schreiben.“
‚Mental Load‘ ist ein großes Thema in Ihrem Roman. Warum war es Ihnen wichtig, diese unsichtbare Last und ihre Auswirkungen so deutlich spürbar zu machen?
„Mental Load“ war für mich der Grund, diesen Roman zu schreiben. Die Journalistin Mareice Kaiser hat mal gesagt, dass es vermutlich keinen Roman über „Mental Load“ gibt, weil die Frauen, die ihn schreiben könnten, keine Zeit dafür haben. Genau das war mein Punkt. Ich wollte dieses Grundrauschen im Kopf so echt wie nur möglich spürbar machen. Ich wollte die Erschöpfung zeigen, aber auch die vielen kleinen Heldinnentaten.
Ihr Roman zeigt, wie herausfordernd Beziehungen in Phasen des Wandels sein können. Welche Gedanken waren Ihnen bei der Zeichnung von Avas und Ralfs Beziehung besonders wichtig – oder waren die beiden schlicht unvereinbar?
Ich weiß gar nicht, ob Menschen grundsätzlich unvereinbar sein können. Sicherlich hat jedes Paar schwierige Zeiten, in denen es sich auch mal aus den Augen verliert. Gerade wenn man Eltern wird, gibt es plötzlich viel Klärungsbedarf, viele Reibungspunkte. Manche Paare stellen erst dann fest, dass sie in entscheidenden Punkten vollkommen unterschiedliche Ansichten haben. Dann beginnt die eigentliche Arbeit an der Beziehung. Und manchmal ist keine Kraft übrig, um auch an dieser Stelle noch Fürsorge zu leisten. Ich glaube, unvereinbar wird es erst dann, wenn man die Hoffnung aufgibt, vom anderen verstanden werden zu können.
Und der Schwimmlehrer – war er das „richtige Match“ oder eher ein Katalysator, der Ava zeigte, was sie vermisst?
Es ist Liebe, eine große, unmögliche Liebe, mit der Ava nie im Leben gerechnet hat. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und alle ersten Male schon hinter sich - dachte sie. Als ich den Roman schrieb, hatte ich eine große Sehnsucht nach einer bittersüßen Liebesgeschichte. Aber es sollte eine sein, die in meiner Lebenswelt spielt, mit einer dreifachen, erschöpften Mutter als Heldin, die nicht mal eben aus ihrem Alltag aussteigen kann. Ich wollte eine Lovestory, die an einem Windelregal im Supermarkt beginnt, in Leggings und XXL-Pullover. Und es sollte eine Liebe sein, bei der man sich beim Lesen selbst permanent fragt, ob man zu seinen Gefühlen stehen, ihnen überhaupt vertrauen würde. Ein 24 Jahre alter Lost Boy, der auf Konventionen pfeift, war für mich der bestmögliche Worst Case in Sachen Liebe, den ich Ava vorsetzen konnte.
„Hat diese Liebe jetzt eine Chance? Ich war jedes Mal selbst gespannt, wie sie antworten.“
Ihr Roman begleitet Ava über viele Jahre hinweg. Warum war es Ihnen wichtig, ihre Entwicklung Schritt für Schritt und ihre innere Suche so intensiv darzustellen?
Als ich begann, die Geschichte zu schreiben, dachte ich, dass ich Ava über ein, vielleicht zwei Jahre begleiten würde. Beim Schreiben aber merkte ich, dass es gar nicht so leicht ist, sich vom Mutterideal zu verabschieden. Ich habe Ava und Kieran im Laufe der Jahre immer wieder aufeinander treffen lassen, immer wieder vor dieselbe Frage gestellt: Hat diese Liebe jetzt eine Chance? Ich war jedes Mal selbst gespannt, wie sie antworten.
Was raten Sie Frauen, die sich in Ehe und Zuhause gefangen fühlen, ohne klare Vision für ihr Leben – aber wieder lebendig sein und echtes Fühlen erleben möchten?
Ich schätze, das hängt sehr von der Lebensphase ab, in der man steckt. Die Phase nach den intensiven Babyjahren habe ich zum Beispiel als großen Wendepunkt erlebt. Ich habe meine drei Kinder relativ kurz hintereinander bekommen. Irgendwann tauchte ich wieder auf und dachte: Wer bin ich jetzt und was fange ich mit dieser Frau an? Ich habe mir erlaubt, mich selbst nochmal neu zu denken, ganz offen und frei zu fragen, wie es von hier aus weitergeht. Und dann habe ich meinen ersten Roman geschrieben, von dem ich geträumt habe, seit ich ein kleines Mädchen war. War das leicht? Absolut nicht. Aber es tat gut, all die Kraft und Liebe, die ich meinen Kindern zukommen lasse, auch mal mir selbst zu schenken.
In Ihrem Roman endet Avas Affäre wie ein zu schönes Märchen. Was raten Sie Frauen, die in einer realen Affäre ihr Herz verloren haben und nicht wissen, wie sie loslassen sollen, ohne sich selbst zu verlieren?
Mein Rat: Tauscht euch aus. Mir hat eine ältere Frau auf einer Lesung erzählt, dass sie und alle ihre Freundinnen sich irgendwann mal heftig verknallt haben. Das seien doch tolle Gefühle, die müsse man mit in die Familie reinnehmen. Eine andere schrieb mir, dass sie jahrelang für ihre Liebe zu einem jüngeren Mann geächtet wurde, aber die Beziehung hat trotzdem gehalten. Eine weitere bestand nach 40 Jahren Beziehung auf getrennte Wohnungen und ist damit hochzufrieden. Es gibt so viele Wege zum Glück und noch mehr Umwege.
„Mich wundert, dass die Kombination aus jüngerem Mann und älterer Frau noch immer ein solches Tabu ist, denn umgekehrt sieht es ganz anders aus.“
Die langjährige, leise bestehende Verbindung zwischen Ava und Kieran deutet auf echte Liebe hin. Ihr Roman hinterfragt auch gängige Vorstellungen von Liebe, Alter und gesellschaftlichen Erwartungen. Was hat Sie dazu inspiriert, dieses Spannungsfeld zu erzählen?
Ich glaube, dass sich Menschen gegenseitig zur Heimat werden können. Und das ist bei den beiden passiert. Oder wie Kieran sagt: „Ich stehe nicht auf ältere Frauen. Ich stehe auf dich und du bist zufällig älter. Das ist die ganze Geschichte.“ Mich wundert, dass die Kombination aus jüngerem Mann und älterer Frau noch immer ein solches Tabu ist, denn umgekehrt sieht es ganz anders aus. Hätte sich der gut situierte und beruflich gefestigte Ralf in eine jüngere Frau verliebt, hätte er eine schöne Wohnung gesucht, vielleicht eine neue Familie gegründet und niemand hätte ihm vorgeworfen, dass er die Kontrolle über sein Leben verliert oder ein verantwortungsloser Vater ist.
Fotos: Anna Schwartz, Ullstein
Interview: Eva-Maria Rueter
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