„Dem Glück eine Chance geben“ – Judith Rakers im GLOW-Exklusivinterview
- Redaktion
- 13. Aug.
- 9 Min. Lesezeit

2018 erfüllte Judith Rakers sich einen lang gehegten Traum: Sie zog aufs Land. Was als Hobby begann, entwickelte sich schnell zur erfolgreichen Marke Homefarming. Nun steht für die 49-Jährige der nächste große Schritt an, denn ihre Farm zieht nach Rügen. Im Interview verrät sie, warum sie Veränderungen als Chance sieht, wie sie mit dem Älterwerden umgeht und was noch auf ihrer Bucketlist steht.
Judith, warst du heute schon im Garten?
Judith Rakers: Ja, ich habe meinen Hühnerstall sauber gemacht, eine Henne beim Eierlegen gestört, was mir ein bisschen leidtat. Dann habe ich das Geschnibbel von gestern aus der Küche und die übrig gebliebenen Spaghetti an die Hühner verfüttert, und ich habe meine Beete kontrolliert, weil ich einiges neu eingesät habe.
Warum bereiten dir diese Dinge und überhaupt die Gartenarbeit so viel Freude?
Weil man sehen und erleben kann, was man geschafft hat und weil es so ein sinnliches Vergnügen ist. Ich liebe es zum Beispiel, morgens barfuß durch den Garten zu laufen. Selbst im Schnee laufe ich manchmal barfuß. Der Garten riecht auch immer anders, je nachdem, was gerade blüht. Natürlich hört man auch ganz viel: Vogelgezwitscher, das Schnauben von Pferden und in der Brunftzeit auch mal das Wild. Zur richtigen Jahreszeit ist der Garten auch ein geschmackliches Vergnügen, weil man unterwegs naschen kann: Himbeeren, Brombeeren, Stachelbeeren, Radieschen, Tomaten. Nach meinem morgendlichen Gang durch den Garten bin eigentlich schon satt (lacht). Kurzum: Ein Garten spricht alle Sinne an, was selten geworden ist in unserem digitalen Alltag, und macht wahrscheinlich auch deshalb so glücklich.
Du bist am Rande des Teutoburger Walds aufgewachsen. Warst du schon immer naturverbunden?
Ja. Natur und Tiere haben schon immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt: In meiner Kindheit hatten wir Hunde, Katzen, Hasen, Hamster. Ich habe nie ohne Haustiere gelebt. Ich lebte mit meinem Vater in einem kleinen Einfamilienhaus am Waldrand. Wir hatten einen Garten, für den ich mich aber nicht besonders interessiert habe. Wir haben dort auch nichts angebaut. Was ich aber immer gerne gemacht habe, war, mit meinem Opa, einem Hobbyimker, zu den Bienen zu gehen. Während meines Studiums und in den Jahren danach war Natur dann weniger Teil meines Alltags. Ich habe in der 4. Etage einer Stadtwohnung mitten in Hamburg gelebt. Aber ich habe zwischendurch immer naturnahen Urlaub gemacht - sehr gerne auch gemeinsam mit den Pferden. Ich reite, seitdem ich ein junges Mädchen bin. Mit Anfang 40 habe ich die Natur dann wieder mehr in mein Leben gelassen.
2018 bist du aufs Land gezogen, wo du mit deinen vielen Tieren heute als Selbstversorgerin lebst. Du hast diesen Umzug mal als Offenbarung bezeichnet. Warum?
Das war ein absoluter Wendepunkt in meinem Leben. Ich habe gemerkt, dass ich in der Stadt nicht mehr glücklich bin und sehnte mich so sehr nach diesen Momenten in der Natur. Ich war traurig, dass ich sie nur am Wochenende erleben durfte – zumal freie Wochenenden bei der Tagesschau selten waren. Mein damaliger Partner wollte aber unbedingt in der Stadt leben. Nach unserer Trennung habe ich dann Nägeln mit Köpfen gemacht. Ich habe ein kleines Häuschen direkt am Naturschutzgebiet gefunden, das wegen seines großen Grundstücks keiner haben wollte, und dann bin ich dahingezogen. Es hat sich vom ersten Moment an wahnsinnig richtig angefühlt. Ich war so bei mir. Ich wusste: Genau hier gehöre ich hin.
Gerade 40 geworden, dazu getrennt – das hätte dich auch in eine Lebenskrise stürzen können.
Wendepunkte im Leben haben immer das Potenzial, entweder eine Chance oder eine Krise zu sein. Eine Trennung kann so ein Wendepunkt sein. Bei vielen Frauen ist es auch der Zeitpunkt, an dem plötzlich die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind und man sich fragt: Was jetzt? Man muss sich irgendwie neu definieren und neue Dinge finden, für die man brennt. Ich habe das als große Chance für mich gesehen, keine Kompromisse mehr eingehen zu müssen. Am Anfang hatte ich schon Sorge, dass ich vielleicht vereinsame in meinem kleinen Häuschen so weit weg von den Freunden in der Stadt. Aber ich wollte es so sehr, dass ich dieses Risiko in Kauf genommen habe. Ich dachte, dann muss ich eben ab und zu rein fahren in die Stadt, um Sozialleben zu haben. Tatsächlich traben alle aber sehr gerne bei mir an, weil sie es natürlich total schön finden, auf meiner Terrasse zu sitzen (lacht).
Diesen Sommer gehst du noch einen Schritt weiter und ziehst mit deiner Farm nach Rügen. Wie kamst du zu dieser Entscheidung?
Das hat auch private Gründe, zu denen ich gar nicht so viel sagen möchte. Aber davon abgesehen war Rügen schon immer meine Lieblingsinsel. Ich habe sie 2010 für mich entdeckt, als ich dort zum ersten Mal Urlaub gemacht habe. Ich war sofort verliebt und ab da jedes Jahr mindestens einmal dort, meistens mit meinen Pferden. Und ich habe immer gedacht: Auf Rügen leben, das wäre was! Die Natur dort ist sensationell: Das Blau der Kornblume ist auf Rügen blauer, das Rot des Mohns roter als woanders. So jedenfalls kam es mir immer vor. Dazu das Meer, die Kreidefelsen, diese riesigen Buchenwälder und die endlosen Felder. Anders als in Westdeutschland, wo die Felder historisch gesehen immer im Besitz einzelner Bauernfamilien waren und deshalb vergleichsweise klein parzelliert sind, gibt es im Osten riesige Flächen, die früher von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften bewirtschaftet wurden. Gefühlt reichen die Stoppelfelder auf Rügen deshalb bis zum Horizont. Im Jagdgalopp darüber zu reiten ist das großartigste Gefühl von Freiheit, das ich kenne. Und ich hatte jetzt die Chance, diesen Sehnsuchtsort zu meinem Lebensmittelpunkt zu machen – also habe ich es getan.
„Ich habe gemerkt, dass ich in der Stadt nicht mehr glücklich bin und sehnte mich so sehr nach diesen Momenten in der Natur."
Bist du generell jemand, der sich Wünsche und Träume erfüllt, der keine Angst hat vor Veränderung?
Ich stand in meinem Leben schon oft an einer Weggabelung oder einem Scheidepunkt – und ich habe immer den Weg gewählt, für den man vielleicht ein bisschen mehr Mut brauchte, den ich aber interessanter fand. Ich habe festgestellt, dass dieser Mut immer belohnt wurde und ich nie eine Entscheidung bereut habe. Ich glaube, das tut man auch nicht. Man bereut nur, was man nicht getan hat. Das ist natürlich insofern fatal, als es mich wahnsinnig motiviert, immer wieder den mutigen Weg zu gehen. Meine kleine Farm in Hamburg ist ein Traum – aber sie ist eben nicht auf meiner Lieblingsinsel, und ich dachte irgendwann: Was, wenn ich mir diesen Traum auch noch erfülle? Denn man lebt ja nur einmal, und ich will nicht in 10 Jahren sagen: Was wäre gewesen, wenn? Also mache ich das jetzt einfach. Vielleicht ist es die erste Entscheidung in meinem Leben, die ich bereuen werde. Aber es besteht auch die Chance, dass es die beste meines Lebens wird.
„Wendepunkte im Leben haben immer das Potenzial, entweder eine Chance oder eine Krise zu sein."
Deine „kleine Farm“ ist inzwischen gar nicht mehr so klein, sondern es hat sich ein ganzes Universum daraus entwickelt: Du hast drei Bücher geschrieben, machst unter dem Namen Homefarming einen Podcast und ein Onlinemagazin, es gibt einen Shop mit nachhaltigen Gartenartikeln und Produkte für Kinder. War das alles geplant?
Ich habe dem Glück einfach eine Chance gegeben, glaube ich. Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal Bücher übers Gemüsegärtnern schreiben, Saatgut verkaufen und ein Kinderspiel zum Thema gesunde Ernährung entwickeln würde, hätte ich demjenigen einen Vogel gezeigt – weil vor zehn Jahren überhaupt nicht abzusehen war, dass mein Leben diese Wendung nimmt. Am Anfang habe ich nur für mich gegärtnert. Weil ich so stolz war, dass da wirklich etwas wächst, habe ich irgendwann angefangen, auf Social Media zu posten.
Und auf einmal warst du Influencerin.
Ja, plötzlich wollten alle Tipps von mir. Weil ich Leute ansprach, die vorher noch nie in einer Gartenabteilung waren, kam dann mein Verlag auf mich zu und fragte, ob ich nicht ein Buch schreiben wolle. Zwei Jahre später folgte das nächste. Die Idee, ein Spiel und einen Experimentierkasten für Kinder zu machen, kam mir, weil meine Freundinnen immer ihre Kinder mitbrachten und ich ihre Begeisterung gesehen habe. Aus der Arbeit daran ergab sich dann die Idee, ein Kinderbuch zu schreiben. Und das ist jetzt meine eigentliche Leidenschaft. Das zweite erscheint Ende Juni, und ich habe sogar schon das dritte fertig. Irgendwie fließt das einfach so aus mir heraus. Ein Projekt folgt auf das nächste. Und dass, obwohl ich am Anfang keinen grünen Daumen hatte. Mir ist früher immer alles eingegangen.
So wie bei Judith, der Protagonistin deiner Kinderbücher?
Genau, das ist meine Geschichte. Ich zeige den Kindern, dass auch ich erstmal viel lernen musste, um das Haus mit all den Tieren und dem Gemüseanbau in den Griff zu bekommen. Und dass einiges schief gegangen ist. Aber sie lesen in meiner Geschichte eben auch, dass es funktioniert, wenn man bereit ist, sich anzustrengen und nicht aufgibt. Das möchte ich auch in meinen anderen Büchern und mit all meinen Produkten vermitteln: Jeder kann Gemüse anbauen, man muss dafür kein Vorwissen haben.
Was ist dein wichtigster Gartentipp?
Das Allerwichtigste ist, mit dem richtigen Gemüse zu beginnen. Ich unterteile das Gemüse in meinen Büchern – und das ist glaube ich das Geheimnis meines Erfolgs – in Schwierigkeitsklassen: Gemüse für Anfänger, Fortgeschrittene und Leidensfähige. Das ist wie beim Skifahren, da fängt man auch nicht mit der schwarzen Piste an. Wenn man mit Pflücksalat anfängt, ist das eine blaue Piste und wird funktionieren. Irgendwann kann man dann auch die schwarze nehmen und Tomaten aus Samen heranzüchten.
Man spürt deine Leidenschaft an all dem. Hast du dich je gefragt, was geworden wäre, wenn du die Tagesschau nicht verlassen hättest?
Noch nie. Ich denke immer, irgendwann kommt dieser Moment, wo ich doch noch mal zweifele. Aber bisher ist das nicht passiert. Manchmal treffe ich im Supermarkt oder an der Tankstelle Menschen, die sagen: „Wir vermissen dich!“ Das finde ich immer total schön, denn es wäre ja schade, wenn ich gar keine Spuren hinterlassen hätte nach fast 20 Jahren. Schließlich habe ich in diesen Job unfassbar viel Zeit investiert. Zwei Jahre hat es gedauert von der ersten Idee, bis ich gesagt habe, ich möchte aufhören. Das war ein Prozess. Bereut habe ich es bisher nie – aber das war wie gesagt bei keiner meiner Entscheidungen je der Fall.
Könntest du dir vorstellen, dich irgendwann ganz aus der Öffentlichkeit ins Private zurückzuziehen?
Im Moment gefällt mir die Mischung aus Talkshow, Reise-Reportagen und meinen unternehmerischen Tätigkeiten rund ums Gärtnern sehr gut. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, die TV-Jobs irgendwann aufzugeben. Ein Leben ohne Arbeit kann ich mir allerdings gar nicht vorstellen! Nur noch am Beet zu stehen, dafür bin ich viel zu jung. Ich habe beruflich noch eine Menge Zeit vor mir.
„Alter hat in meinem Leben noch nie eine Rolle gespielt."
Du feierst nächstes Jahr runden Geburtstag. Ist Alter etwas, worüber du dir Gedanken machst?
Überhaupt nicht. Alter hat in meinem Leben noch nie eine Rolle gespielt – außer der 18. Geburtstag, weil man dann Auto fahren durfte. Das war das einzige Mal, dass ich auf einen Geburtstag hingefiebert habe. Seitdem ist es mir völlig egal. Ich stelle immer wieder mit Verwunderung fest, für wie viele Menschen das ein Thema ist. Auch Frauen, die so mit dem Alter hadern. Aber ich bin eben auch jemand, der viel macht. Ich gehe auf in Dingen, verändere auch mal etwas und sorge dafür, dass mein Leben spannend bleibt. Wenn man in einer Situation verhaftet ist, in der man nicht glücklich ist, und sich fühlt wie auf dem Beifahrersitz seines Lebens, dann stellt sich vielleicht eine gewisse Müdigkeit ein.
Was steht denn noch auf deiner Bucketlist?
Ehrlich gesagt mache ich solche Dinge dann immer – oder zumindest versuche ich es. Klar habe ich noch berufliche Ziele. Ich wünsche mir, dass alle Leute ein regional produziertes Hochbeet aus meiner Kollektion in ihren Gärten haben und dass sie mit unserem Saatgut seltene und besondere Gemüsesorten anbauen, und ich will noch ganz viele Kinderbücher schreiben (lacht). Und wenn ich in fünf Jahren etwas ganz anderes oder wieder mehr Fernsehen machen will, dann werde ich mich darum bemühen. Ich möchte offen bleiben für alles, was noch kommt.
Zur Person
Judith Rakers, geboren 1976 in Paderborn, ist TV-Moderatorin, Bestseller-Autorin, Podcasterin und Unternehmerin. Bekannt wurde sie als Sprecherin der Tagesschau. 2018 zog sie von Hamburg aufs Land, wo sie zwischen Gemüsebeeten, Hühnerstall und Pferdekoppel ihr Glück gefunden hat.
Das Homefarming-Universum
Unter ihrer Marke Homefarming hat Judith Rakers inzwischen eine breite Palette an nachhaltigen Produkten auf den Markt gebracht.
Lesestoff
Über ihre Erfahrungen im Gemüseanbau und der Hühnerhaltung schrieb Judith Rakers 2021 ihr erstes Buch „Homefarming – Selbstversorgung ohne grünen Daumen“, das zum Nr. 1 Bestseller wurde. Zwei Jahre später folgte ihr zweiter Erfolgstitel „Homefarming – Das Kochbuch“.
Online-Magazin und Podcast
2022 gründete Judith Rakers das Online-Magazin homefarming.de, das 2024 mit dem „Goldenden Blogger“ ausgezeichnet wurde. Neben informativen Blog-Beiträgen und Gemüsesteckbriefen gehört dazu auch der Podcast „Homefarming – Mach’s Dir lecker Zuhause!“, einer der meistgehörten Gartenpodcasts in Deutschland. In ihrem Online-Shop bietet Rakers außerdem eigene Produkte wie Bio-Saatgut, nachhaltige Garten-Werkzeuge und sogar Gewächshäuser an.
Für die Kleinen
Mit ihrem ersten Kinderbuch „Judiths kleine Farm – Kater Jack sucht einen Freund“ startete Judith Rakers 2024 eine Produktreihe für Kinder, in der sie Wissen über Natur, Garten und Tiere vermittelt. Ihr Experimentierkasten „Meine erste Farm“ wurde mit dem Deutschen Spielzeugpreis 2024 ausgezeichnet, das Brettspiel „Homefarming – Das Spiel“ wurde zum „Lernspiel des Monats August“ gekürt. Am 24. Juni erscheint das zweite Kinderbuch „Judiths kleine Farm – Kleine Farm in großer Gefahr“.
Interview: Nadine Wenzlick
Fotos: Junkers Media and More