„Man verpasst soviel Lebenszeit" Valerie Huber über FOMO, Selfcare und die Kunst, sich selbst treu zu bleiben
- Redaktion
- 27. Juni
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Aktualisiert: vor 4 Tagen
Schauspielerin, Sängerin, Aktivistin: Valerie Huber vereint viele Rollen in einer Person. Doch wie lebt man ein erfülltes Leben zwischen Sichtbarkeit, Selbstanspruch und Social Media? In ihrem Buch spricht sie über Zukunftsängste, Überforderung und den Wunsch nach echter Verbindung, zu sich selbst und zur Welt. Im GLOW-Interview erzählt sie, warum uns die ständige Suche nach der „besseren Option“ lähmt, wie sie ihre eigene Version von Selfcare lebt und wieso der „Joy of missing out“ manchmal das größte Geschenk ist.

Valerie, du bist Schauspielerin, Sängerin und Aktivistin – hat jemand mit so vielen Tätigkeiten trotzdem noch das Gefühl, etwas zu verpassen?
Natürlich empfinde ich es so, „FOMO“ betrifft mich auch. Obwohl es mir immer besser gelingt, dieses Gefühl in den Griff zu bekommen, wäre ich auch oft gerne in fernen Ländern oder auf diesem oder jenem Filmset. Der ständige Vergleich mit anderen, vor allem auf Social Media, führt zu einem Gefühl des Mangels. Doch wir werden getäuscht. An diesen anderen Orten ist es womöglich nicht besser, nur anders. Der Begriff „FOMO“ kommt ja ursprünglich aus dem Marketing und wird dort benutzt, um ein Bedürfnis und eine Lücke zu kreieren, die wir wieder mit Konsum füllen wollen. Wir werden so stark manipuliert. Es liegt an uns, sich dem bewusst zu entziehen und wieder in der Realität und im Moment zu leben.
Du sprichst vom Überangebot an Optionen. Welche Möglichkeiten meinst du konkret? Glaubst du, dass die meisten von uns tatsächlich ein solches Überangebot wahrnehmen?
Dem Großteil der Menschen natürlich nicht. Ich spreche von den privilegierten jungen Menschen westlicher Gesellschaften. Es gibt hier in Zentraleuropa schlicht und einfach heute ein Angebot, das es noch nie zuvor gab. Konkret meine ich Karrierewege und Lebensgestaltungsmöglichkeiten. Es gibt durch die Digitalisierung eine Vielzahl an völlig neuen Berufen, alte Klischees und Beschränkungen wurden aufgebrochen. Der neoliberale Kapitalismus und vor allem die Erzählung des American Dream hat uns eingetrichtert, dass alles möglich ist. Auch wenn es nicht realistisch ist, vergleichen viele Menschen ihr Leben mit dem von Influencerinnen in Privatjets, was auf Dauer krank macht. Studieren ist in vielen europäischen Ländern kostenlos, der Sozialstaat hat es ermöglicht, Bildung für viele Menschen zugänglich zu machen. Wir sehen hier eine Ambivalenz: Was einerseits großartig ist, macht es für die junge Generation nicht einfacher. Man spricht hier von „Overchoice“ oder „Burden of Choice“, was im Endeffekt zu Entscheidungsunfähigkeit führt. Wir entwickeln „FOBO“, also die „Fear of a better option“, und haben Angst, die bessere Option zu verpassen. Deshalb können wir uns schwer festlegen und entwickeln uns immer weiter zu einer Wegwerfgesellschaft.
Gerade junge Menschen kämpfen mit Unsicherheiten und Zukunftsängsten. Was würdest du ihnen heute als Ratschlag für mehr emotionale Sicherheit und Lebensfreude mit auf den Weg geben?
Die Zukunftsangst dieser Generation ist ja real und absolut berechtigt. Es ist heutzutage fast naiv, einfach wegblicken zu wollen und so zu tun, als gäbe es keine Probleme, auf die wir in Sekundenschnelle zusteuern. Ein wichtiger Gegenpol zu dieser Ohnmacht ist das eigene Aktivwerden. Es hilft immens, nicht tatenlos zuzusehen, sondern sich einzusetzen, Möglichkeiten zu finden, wie man beitragen und laut sein kann. Auf der anderen Seite ist ein bewusstes, punktuelles Abkapseln gesund. Sich bewusst rauszunehmen, wieder für sich in den Moment zu kommen, achtsam zu leben und zu konsumieren. Es geht am Ende des Tages um unser persönliches Glück. Es ist wie bei Turbulenzen im Flugzeug: Wenn es mir selbst nicht gut geht, kann ich auch nicht für andere da sein.
„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als optimistisch zu sein."
Dein Buch wirkt trotzdem optimistisch. Woher nimmst du deine Zuversicht?
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als optimistisch zu sein. Sonst müssten wir morgens gar nicht erst aufstehen! Die Welt ist so wunderschön, es gibt so viel, an dem wir uns erfreuen können und wofür es sich zu kämpfen lohnt!
Wie bewusst nutzt du selbst soziale Medien und digitale Plattformen im Alltag?
Mein Social-Media-Konsum ist auf jeden Fall ein Thema für mich. Einerseits ist es beruflich nicht unwichtig, andererseits merke ich, wie viel Zeit mir dadurch gestohlen wird. Ich habe die letzten Wochen bewusst weniger Instagram konsumiert und sofort gemerkt, wie gut es mir geht. Ich bin praktisch süchtig und muss mich ganz bewusst zwingen, nicht ins „Doomscrollen“ zu verfallen. Man verpasst so viel kostbare Lebenszeit und das will ich so nicht mehr.
Wie triffst du deine Entscheidungen – eher rational oder intuitiv?
Bei Entscheidungen sollten wir wieder viel mehr auf unsere Intuition hören. Wir haben verlernt, auf sie zu achten, weil wir als Menschen so entfremdet und entkoppelt sind. Meistens kennen wir die richtige Entscheidung bereits. Sich zu entscheiden bedeutet Freiheit. Dennoch ist nichts in Stein gemeißelt. Es ist so viel leichter, sich zu entscheiden, wenn man weiß, dass man immer die Freiheit besitzt, sich umzuentscheiden. Außer bei Entscheidungen, bei denen Menschen zu Schaden kommen, natürlich.
In deinem Buch sprichst du offen über die Herausforderungen des äußeren Drucks und der eigenen Erwartungen. Wie hat sich dein persönliches Verständnis von Selfcare im Laufe der Zeit verändert?
Selfcare wird immer wichtiger, je älter ich werde. Und da kommt der dritte Begriff ins Spiel: „JOMO“ – „Joy of missing out“ – zu empfinden und anstatt auf Partys zu gehen, gemütlich zu Hause auf der Couch zu bleiben. Das ist mittlerweile ein Luxus für mich.
Du thematisierst in deinem Buch die Bedeutung bewusster Pausen. Hast du ein kleines Selfcare-Ritual?
Ich gehe am liebsten in die Natur. Die Natur hilft mir, alles in Perspektive zu setzen. Dort kann ich herunterfahren und wieder zu mir selbst finden. Wenn alles um dich herum und du selbst still geworden bist, kannst du wieder klarer sehen, worauf es wirklich ankommt.
Gibt es in Sachen Selfcare Dinge, die du in deinen Alltag integrierst?
Ich versuche seit Neuestem täglich, etwas Bewegung und Meditation unterzubringen. Direkt nach dem Aufstehen auf die Yogamatte zu hüpfen und erstmal den Körper sanft aufzuwecken, sich dehnen und auch ein paar Kraftübungen machen. Danach mache ich manchmal Drybrushing und Guasha. Ein paar Mal wöchentlich joggen zu gehen, hilft mir auch immens, meinen Kopf durchzulüften. Gesund zu essen ist noch so eine Sache, ich habe gerade die ayurvedische Küche für mich entdeckt – großartig. Man spürt ja, was einem guttut. Man muss sich dann nur die Zeit nehmen, die Dinge auch wirklich zu tun.
Wie hältst du es dann im Vergleich mit deinem Medienkonsum?
Ich versuche bewusst, meine Medienzeit zu limitieren und im Hier und Jetzt zu sein. Aber natürlich braucht man es manchmal, nach einem langen Tag einfach abzuschalten und sich berieseln zu lassen.
Wie gehst du mit der Frage um, ob du mit all diesen Routinen und Leitsätzen das „richtige“ Leben für dich persönlich führst?
Ich beschäftige mich gerade sehr viel mit dieser Frage. Ist ein richtiges Leben ein Leben, in dem ich etwas für andere tue oder lieber auf mein persönliches Glück achte? Ist es in Wahrheit unbedeutend, weil unsere Existenz so nichtig ist? Ich glaube, das richtige Leben ist jenes, in dem man möglichst viel Gutes verrichtet, möglichst freundlich den Menschen begegnet und nicht nur für sich selbst lebt.
Was war zuletzt dein persönlicher „GLOW-Moment“ – ein Moment voller innerer Freude, Leichtigkeit oder Dankbarkeit?
Das war zu Ostern, als ich mit meinem Freund bei meinen Eltern war. Sie leben mitten in den Bergen an einem See – die pure Idylle. Gemeinsam mit meinen liebsten Menschen rund um einen Tisch voller leckerer Speisen zu sitzen, umringt von Natur, warmer Frühlingssonne, die ersten Bienen und Schmetterlinge in der Luft. Die Dankbarkeit für meine gesunde Familie, diesen wunderschönen Tag und den prächtigen, glücklichen, leichtherzigen Moment.

Interview: Eva-Maria Rueter
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